Düsseldorf Die historische Trendwende am Immobilienmarkt im vergangenen Jahr zeigt sich jetzt auch in den offiziellen Zahlen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Freitag mitteilte, sind die Preise für Wohnimmobilien in Deutschland im vierten Quartal das erste Mal seit 2010 gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken.
Nach Angaben der Statistiker gingen die Preise demnach um 3,6 Prozent im Vergleich zum vierten Quartal 2021 zurück, noch stärker waren die Kaufpreise für Wohnungen sowie Ein- und Zweifamilienhäuser zuletzt im ersten Quartal 2007 gesunken. Damals verringerten sich die Preise um 3,8 Prozent gegenüber dem ersten Quartal 2006.
Deutlicher wird der Umbruch am Immobilienmarkt beim Blick auf die Veränderungen zum Vorquartal. Im Vergleich zum dritten Quartal des vergangenen Jahres sanken die Preise im vierten Quartal 2022 um fünf Prozent. „Ausschlaggebend für den Rückgang der Kaufpreise dürfte eine gesunkene Nachfrage infolge gestiegener Finanzierungskosten und der anhaltend hohen Inflation sein“, heißt des von Destatis. Im Vergleich zum Jahresanfang 2021 haben sich die Bauzinsen bis zum Herbst des vergangenen Jahres vervierfacht und schwanken seitdem teils deutlich auf dem neuen hohen Niveau.
Sowohl in den Städten als auch in den ländlichen Regionen beobachteten die Statistiker zum Jahresende größtenteils Preisrückgänge. Während in den Metropolen die Preise weniger nachgaben, gab es schon in den kreisfreien Großstädten deutlichere Abschläge.
In den Top-7-Metropolen (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf) gingen die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser laut Destatis um 2,9 Prozent zurück, für Wohnungen mussten 1,6 Prozent weniger gezahlt werden.
In den kreisfreien Großstädten sanken die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser um 5,9 Prozent, während die Preise für Eigentumswohnungen in diesen Städten lediglich um 1,0 % abnahmen. Insgesamt sanken die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser stärker als die Preise für Eigentumswohnungen.
Mit Blick auf das Gesamtjahr steht wegen der starken ersten drei Quartale noch ein Plus. Im Jahresdurchschnitt 2022 stiegen laut Destatis die Preise für Wohnimmobilien insgesamt um 5,3 Prozent gegenüber 2021. Im Jahr 2021 waren die Preise mit einem Plus von 11,5 Prozent so stark gestiegen wie noch nie gegenüber einem Vorjahr seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000.
Experten zeigten sich vom Ausmaß überrascht, können dem Rückgang aber etwas Positives abgewinnen – schließlich warnt die Bundesbank seit Langem vor einer Überbewertung von 25 bis 40 Prozent in den Städten. „Dass die Preise im vierten Quartal gefallen sind, dürfte niemanden überraschen“, sagte Ökonom Martin Güth von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).
„Doch das Tempo lässt aufhorchen.“ Am Wohnimmobilienmarkt habe zweifellos eine Korrektur eingesetzt, die sich fortsetzen dürfte. „Dabei handelt es sich um eine gesunde Entwicklung“, sagte Güth. „Der Markt ist hoch bewertet und Wohnraum kaum noch erschwinglich.“
Erste Indikationen für das laufende Jahr zeigen eine vorläufige Stabilisierung auf einem niedrigeren Niveau. Das zeigt zumindest der Hauspreisindex der Finanzierungsplattform Europace, der auf echten Transaktionen beruht. Demnach sind die Immobilienpreise im Februar im Vergleich zum Vormonat wieder leicht gestiegen um 0,59 Prozent. Vor allem zum Jahresende 2022 hatte es auch hier wie bei den offiziellen Zahlen von Destatis noch deutliche Abschläge gegeben.
Nachdem sich die Neubaupreise schon bei den Zahlen für Januar weiter nach oben bewegten, zeigt sich diese Entwicklung laut Europace jetzt auch für bestehende Ein- und Zweifamilienhäuser mit einem Plus von 0,52 Prozent. Neubauten verteuerten sich im Vergleich zum Vormonat um 1,33 Prozent. Nur bei Eigentumswohnungen setzte sich der seit vergangenem Juni zu beobachtende Abwärtstrend fort, wenn auch nur noch leicht mit einem Minus von 0,2 Prozent.
Stefan Münter, Co-CEO bei Europace, sagte zu den Zahlen in der vergangenen Woche: „Auch mit schwierigen Rahmenbedingungen sehen wir spürbare Nachfrage nach Immobilien.“ Über die Plattform des Unternehmens werden rund 20 Prozent der Baufinanzierungen für Privatkunden in Deutschland abgewickelt, unter anderem über den zur Unternehmensgruppe gehörenden Vermittler Dr. Klein.
Allerdings sind Preisentwicklungen in der aktuellen Lage schwierig akkurat einzuschätzen, weil es insgesamt nur wenige Transaktionen gibt und sich der Markt weiterhin in einer Art Schockstarre befindet. Verkäufer halten oftmals an den hohen Preisen fest, während Käufer darauf warten, dass die Preise weiter nachgeben. Die Branche rechnet erst wieder mit einer echten Belebung des Marktes, wenn sich die Geldpolitik stabilisiert hat und klar ist, wie stark die Zinsen noch steigen werden.
Jochen Möbert, Analyst bei DB-Research, stellt zuletzt eine einfache Rechnung auf: „Unterstellt man Finanzierungskosten von vier Prozent und kein Mietwachstum, dann müssen die Preise um 25 Prozent fallen, damit die Mietrenditen wieder die Gewinnschwelle erreichen.“ Erwarteten die Investoren von Beginn an einen positiven Cashflow, dann seien noch deutlichere Preisrückgänge erforderlich.
In einer weiteren Auswertung sieht Möbert allerdings auch in der aktuellen Situation den Inflationsschutz von Immobilien gegeben. „Langfristig sollten die Preise neue Höchststände erreichen können“, schlussfolgert er.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht nach den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts nicht davon aus, dass die Preise dieses Jahr noch viel stärker nachgeben werden. Immobilienökonom Michael Voigtländer sieht dafür vor allem drei Gründe ausschlaggebend:
Erstens erwarteten die meisten Investoren, dass die Zinsen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts, wenn die Notenbanken durch ihre Geldpolitik die steigende Inflation unter Kontrolle gebracht hätten, wieder zurückgehen. „Diese Erwartung steht allzu großen Preisnachlässen heute entgegen“, schreibt das IW.
Zweitens lasse mit dem aktuellen Zinsanstieg auch die Bautätigkeit deutlich nach, da Projektentwickler keine Käufer für ihre Neubauten fänden und daher die Umsetzung der Projekte verschöben. „Daher droht in diesem Jahr ein deutlicher Rückgang der Fertigstellungen, womit sich die Knappheit im Markt erhöht“, so Voigtländer.
Drittens zöge gleichzeitig aber die Nachfrage nach Wohnimmobilien an. Das Statistische Bundesamt habe zuletzt von einer Rekordzuwanderung nach Deutschland im Jahr 2022 berichtet. Insgesamt sei die Bevölkerung um 1,2 Millionen Menschen gewachsen, was einem zusätzlichen Wohnungsbedarf von rund 600.000 Wohnungen entspreche. „Neben Flüchtlingen ist die Zuwanderung vor allem aufgrund des Zuzugs von Fachkräften angestiegen – angesichts des Bedarfs dürfte dieser noch weiter zunehmen“, heißt es vom IW.
(Quelle: Handelsblatt, Erstpubliktion 24.03.2023)
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